Mittwoch, 18. Dezember 2013

Mein Flugzeug hebt ab... und Ich lande am 20. Dezember in Deutschland. Von da aus bin ich dann erstmal in Hannover.



Dienstag, 10. Dezember 2013

Desaster in Schweden


Rasch hole ich meine Kamera aus meiner Regenjacke. Endlich hat es auch in Turku angefangen richtig zu schneien. Ich fürchtete schon aus dem kalten Norden wiederzukehren, ohne Schneerieseln erlebt zu haben. Ein richtiges Schneeabenteuer wurde dann mein Aufenthalt in Schweden. Feuer gefangen habe ich jetzt für das Debattieren, also sind wir, sieben Mitglieder vom Turku Debating Union nach Lund aufgebrochen. Zehn Stunden Schiff und 600 Kilomter Autofahren... was tut man nicht alles um seine rhetorischen Fähigkeiten für die potentiell politische Karriere aufzupolieren. (Semantisch waren das grade drei po-po-pos, es fängt also schon an.)
 In dem Moment wo wir uns in das Auto quetschen fing es an zu schneien als gäbe es kein Morgen mehr. Straßen vereisten, der Himmel wurde grauweiß und die Reifen rutschten gen Süden. Alle paar Kilometer begegneten wir einem verwirrten Lastwagen, der die Fahrbahn verlassen hatte und verbeult und quer an der Fahrplanke stand.


Für das Foto lächeln: gut, dass wir kein Lastwagen sind!  

Leider war das Tunier desaströs. Der Name des Teams von Akram und mir war "Camels and Sausages". Es brachte uns kein Glück. In der ersten Runde wurde ich als beste Sprecherin der ganzen Debatte gekürt, so überzeugend wie ich konnte keiner gegen das Verbot von politisch extremistischen Partein auf Facebook argumentiere. Aber danach ging es abwärts und dreimal hintereinander erreichten wir den vierten und letzten Platz. Es debattieren immer vier Teams gegeneinander, zwei für das Thema, zwei dagegen. Ob man dafür oder dagegen argumentiert kann man sich nicht aussuchen. Wir verloren bei der Debatte dass Schweden nicht geschlechter-neutrale Schulen einrichten sollte, wir verloren bei der Debatte dass China auf die Verletzung seiner  Flugsicherheitszone im ostchinesischen Meer mit dem militärischen Abschuss der japanischen und koreanischen Flugzeuge reagieren sollte, wir verloren in der Debatte dass bei Anwendnung von Todesstrafen öffentlich exekutiert werden sollte.


Schlurfend durch den Schneesturm zurück zum Hotel, stellte ich mir die Existenzfrage. Nach einigen dramatischen Seufzern packte mich jedoch der Ehrgeiz und ich beschloss weiterzudebattieren, bis ich auch einmal ein Turnier gewinnen würde ... also meine Hobbies der nächsten zehn Jahre stehen fest!


Auch die Erotik meines sorgfältig ausgewählten Kleides konnte die Juroren nicht überzeugen!


Übrigens: seit dem der Winter hier Einzug gehalten hat, hat die Unibibliothek eine Vitamin-D-Lampe aufgestellt. Es ist eine Prävention gegen die finnische Winterdepression. Sie besteht aus etwa ein Meter großen Fläche, die strahlend weißes Licht aussendet. So sitze ich Kaffee und Schokolade mampfend in meiner Lernpause auf den Sesseln und lasse mich "einlichten".






Dienstag, 26. November 2013

Varissou und der finnische Multikulturalismus



Ich betrete den Supermarkt in Varrissou. Direkt neben meinem Wohnblock gibt es eine riesige Betonbrücke, auf die ein Einkaufszentrum gebaut wurde. Hier lungert die ganze Vielfalt des Viertels herum: finnische Teenager hocken auf den Bänken und nehmen die ersten Züge von Zigaretten, zerlumpte Männer und Frauen schlurfen mit ihren Bierdosen vorbei, psychisch erkrankte Menschen brabbeln vor sich hin, internationale Studenten huschen kleinlaut mit ihren Einkäufen rein uns raus, und Frauen mit langen bunten Schleiern zerren ihre Kinder hinter sich her. In Varissou sind 40 % der Bevölkerung Immigranten, sagt der Dozent des Institutes für Migration. Das Viertel sei in ganz Finnland bekannt: für verfehlte Integration und ein Musterbeispiel für ein Areal mit niedrigen soziökonomischen Status, erzählt mir mein finnischer Bekannter Ilari.

Während ich also an den Obst und Gemüsekisten im Supermarkt vorbeigehe, wirft mir eine Frau mit strähnigen blonden Haaren und herunterhängenden Falten einen verschlagenen Blick zu. Sie geht ein paar Schritte. Ich gehe ein paar Schritte vorbei zu den Bananen. Sie geht weiter, bleibt in meiner Nähe und beobachtet mich misstrauisch. Ich kann ganz genau sagen, dass sie denkt, ich verfolge sie. Als ich an der Kasse stehe, drängelt sie sich hastig vor mich, beim Eintippen des Pincodes an der Kasse, dreht dreht sie das Gerät brüsk von mir weg. Seufzend packe ich meine Einkäufe zusammen. Warum lebe ich hier? It's hostile. It's hostile and anonymous.


Die Straße in meinem Block Varissou
Häuser für alle
Mein grünes Herz schlägt natürlich für Inklusion und Multikulturalismus. Aber die Konzentration der Inklusion von vielen psychisch erkrankten und suchtabhängigen Menschen in einem Viertel führt zu einer Armutsspirale. Alle Menschen ohne Arbeit werden auf einen Bereich der Staat konzentriert. Die Architektur sagt aus, dass du keine Hoffnung erwarten kannst. Der Staat baut für die Sozialempfänger diese Häuser. Diese Häuser werden alle in derselben grau-monotonen Bauweise nebeneinander gebaut. Zusätzlich ist der Anteil der nicht-finnisch sprechenden Menschen sehr hoch. Flüchtlinge und Arbeitsmigranten haben es naturgemäß schwerer in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt. Alle diese heterogenen Gruppen zusammen zu würfeln, führt nicht zur erwünschten Toleranz, sondern zu Segregation, die ich jedem Tag im Einkaufszentrum erleben. Jede Gruppe bleibt für sich. Die Konsequenz ist eine „white flight“, junge „weiße“ Familien ziehen in homogenere Vororte, in Varissou leben hauptsächlich alte Finnen und junge Migranten.

Als ich das Kunstmuseum in Turku besucht habe, gab es im Keller eine Ausstellung zu der Veränderung Turkus seit Beginn der Stadt. Ich war sehr erstaunt zu sehen, dass es viele deutsch-finnische Handelsbeziehungen überall präsent waren und viele Deutsche tatsächlich in Turku gelebt haben. Zusammen mit meinen transnationalen Studien in der Universität werde ich wieder daran erinnert dass die derzeitige Globalisierung und der, heute als "Herausforderung" betiltete Multikulturalismus, kein neues Phänomen ist. Im Mittelalter und intensiver mit der beginnenden Industrialisierung im 19. Jahrhundert wohnten in allen Städten Menschen von unterschiedlicher kultureller Herkunft. Abgeschirmte Nationalstaaten gab es noch nicht. Bis zum ersten Weltkrieg waren die Grenzen zwischen den USA und Europa komplett offen. Jede/r konnte emigrieren. Nach dem zweiten Weltkrieg war die Nationalisierung auch in Europa abgeschlossen: überall auf dem Kontinent wanderten über Jahre riesige Migrationsströme in neu geschaffene Nationalstaaten. Alle deutschen Gemeinschaften in Osteuropa mussten sich „einbürgern“. Während dem Kalten Krieg und nach 9/11 wurden wieder streng die Grenzen bewacht.
Chang, Ich, Rentierreflektor, Akram (v.l.n.r.)
Mein algerischer Freund hier, Akram, hat mir erzählt, dass er nicht nach Großbritannien für zwei Wochen Urlaub einreisen durfte, dabei hatte er sich so gefreut das Harry-Potter-Schloss zu besuchen.

Soziologisch gesehen nennt sich das methodologischer Nationalismus. Man denkt nur noch – und kann nicht anders – in Nationalstaaten. Nationalstaaten werden als unhinterfragbares Konstrukt in Statistiken, Mentalität, Sprache und der internationale Politik angenommen. Sie werden als „Container“ über jedes soziale Phänomen gestülpt. Gesellschaft ist die Gesellschaft eines Nationalstaates. Dabei gibt und gab es transnationale Kontakte, Menschen die sich mit mehreren oder mit keinen Staaten identifizieren, Diasporas, Arbeitsmigranten oder ökonomische Formen der zwischenstaatlichen Kooperation. Dein ist mein Herz, Europa.

Sonntag, 24. November 2013

Der finnische Sozialstaat

Freiwillige Versicherungen haben eine lange Tradition in Finnland. Seit 1917 gibt es Gewerkschaften, die mit staatlichen Subventionen ihre Mitglieder gegen Arbeitslosigkeit versichern. Diese freiwilligen Mitgliedschaften gibt es in allen skandivanischen Ländern seit dem vorletzten Jahrhundert, und nach und nach haben sie immer mehr staatliche Finanzunterstützung erhalten. Diese freiwillige Institution existiert bis heute: neben der gesetzlichen und der privaten Versicherung sind 80 - 90% aller Schweden, Finnen und Dänen in einer Gewerkschaft versichert. Für die restlichen Prozente gibt es eine zustätzliche staatliche Arbeitslosenversicherung, deren Unterstützung vom Einkommen, nicht vom Gehalt abhängig ist. In Deutschland spielen Gewerkschaften nur eine Rolle im Verhandeln über ein paar Euro mehr Gehalt. Hartz IV und Arbeitslosengeld ist staatlich, nicht gewerkschaftlich organisert.

Es gibt keinen Föderalismus in Finnland. Es gibt ihn schon, aber die Spannung wird nur zwischen den beiden Polen des Staates und der Gemeinde ausgetragen. Es gibt keine Länder. Diese dritte Ebene ist weggefallen, ein Relikt was die rasche Ausbildung des Wohlfahrtstaates begünstigte. Je mehr Vetospieler auf dem politischen Spielbrett, umso langsamer die Modernisierung einer Nation. Denn es können immer mehr BürgerInnen und Institutionen die "Stopp-Karte" dem Wandel zeigen, und soziale Veränderungen des Wohlfahrtstaates verlangsamen. Es gibt nur die Selbstregierung der Gemeinde und eine zentralen Regierung. Damit, so elaboriert der Autor meines Buch über Sozialpolitik ausschweifend, wurde die "Distanz zwischen dem staatlichen Bereich und der Zivilgesellschaft verkleinert und verschwommen". Wenn die Gemeinde und der Staat kooperieren, sind Staat und Bürger eins.

Die Renten sind jedoch einkommensabhängig organisiert. Sie wurde konsensorientiert mit den Gewerkschaften und den Arbeitgebern in den 60ger Jahren eingeführt. Aus dem Rententopf wurden in dieser Zeit mehrere Infrastrukturprojekte finanziert und die elektrische Versorgung für die finnische Bevölkerung ausgebaut. Nach dem zweiten Weltkrieg war Finnland - mal mit Russland, mal mit Deutschland liiert, - zerstört. Bis in die 50ger Jahre hinein mussten Reparationen an die Sowjetunion gezahlt werden. Das, so mein finnischer Nachbar Eeku, bildete die eigentliche Basis für den Wohlfahrtstaat. Da man den Russen auch elektrische Geräte und Maschinen lieferte, musste parallel die Lieferwege gebaut werden. So erhielt Finnland gleichzeitig die Basis einer gut funktionieren Infrastruktur.

Mittwoch, 20. November 2013

Regenzeit und Sauna

Ich schaue aus dem Fenster. Es ist rabenschwarz. Es ist vier Uhr nachmittags. Jeder Finne, dem ich begegne, seufzt traurig, zieht die Schultern hoch und brummelt: "jetzt beginnt die schreckliche Jahreszeit". Seit mehr als einem Monat regnet es. Die Welt um mich herum ist noch nicht komplett schwarz, sondern nass. Jeden Tag regnet es. Jede Nacht regnet. Turku liegt am Meer, deswegen schneit es nicht. "Wenn es schneit", so sagt der Finne, und sein Gesicht hellt sich auf, "dann wird es wieder schöner, weil die Schneedecke ein Kontrast zum dunklen Himmel darstellt." Aber es schneit nicht. Es regnet. Ich habe mir selbst ein Versprechen gegeben. Es lautet: du fährst Fahrrad, egal was passiert. Seit einem Monat komme ich nass wie ein Hund in der Universität an. Mein Mantel ist schlammbespritzt. Meine Haare liegen nass auf meinem Gesicht. Aber meine Unterschenkelmuskeln dehnen sich aus.

Mit meinen athletischen Beinen mache ich große Schritte und stapfe zu meinem Seminar, in der mir fröhlich die weiteren Features des skandinavischen Wohlfahrtstaates erklärt werden.
An meinem Mantel baumeln nun drei Reflektoren. Es ist ein silberner Delfin hinzugekommen. Ich möchte dass ich von allen Seiten strahlend reflektiert werde! Ich bin ein das deutsche Leuchtsignal in der finnischen Dunkelheit.


Am Sonntag war ich endlich in der richtigen finnischen Sauna. Eine neue Freundin aus dem Baskenland hat mich mitgenommen. Wir schwitzten mit mehreren Finnen um einen riesigen Offen herum. Es war sehr laut, es wurde geredet und gelacht. Wir trugen alle Badekleidung, keine Sorge! Wenn man es nicht mehr ausgehalten hat, wurde die Tür geöffnet. Ich schlüpfe heraus, mit meinen Füßen berühre ich den kalten Steg. Zwei, drei Hüpfer, die Sonne ging im Meer unter und ich springe in das eiskalte Seewasser im November. Mein Körper ist heiß und kalt, und während der Wind um meine Haut weht  und mich mit einem eigentümlichen Gefühl der Freiheit umgibt, stolziere ich danach im Bikini bekleidet den Strand entlang und denke: Finnland.


Der nordische Wohlfahrtstaat




20 Krankenschwestern um mich herum. Sie kauen auf ihren Bleistiften, schauen sorgenvoll in die Luft und tuscheln mit ihren Nachbarn. Ich habe die volle Keule des nordischen Wohlfahrtstaat abgekriegt, mehrere Stunden in der Woche beschäftige ich mich jetzt mit Ethik des finnischen Gesundheitssystem, und den verschiedenen Ausprägungen des Wohlfahrtstaates in Skandinavien. Wir Austauschstudenten sind in diesen Seminare nur in der Minderheit, das führt dazu, dass jede ProfessorIn uns gespannt fragt, wie es den mit unserem nationalen Sozialsystem bestellt sei. Dann wird eine Projektion an die Wand gebeamt, auf drauf steht " Finnland is the best country in the world" und es werden zahllose Rankings zitiert in denen Finnland immer einen der ersten Plätze im länderübergreifenden Vergleich von Gesundheit, Bildung und Gleichheit belegt. Warum ist das so?

First and foremost sicherlich wegen den riesigen Beträgen an Geld, die in das Bildungssystem investiert werden. Ein Großteil des - in Finnland höheren als in Deutschland liegenden - Steueraufkommen wird in die Bildung gesteckt. 95 % aller SchülerInnen machen in Finnland das Abitur. Aber deine Abiturnote ist für die meisten Studiengänge egal: jeder muss einen Test für seinen Studiengang bestehen und beweisen, dass er sich über die Inhalte schon vorher informiert hat. Meine finnischen Bekannten hier, die auch  Politikwissenschaft wie ich studieren, mussten, um zugelassen zu werden, eine Politikprüfung bestehen. Damit jeder die gleichen Chancen hat ins Studium zu kommen, und nicht die vielleicht unterschiedlich bewerteten Schulleistungen zählen. Ein weiter Bekannter ist jahrelang jedes Mal an der Aufnahmeprüfung zu Zahnmedizin gescheitert. Erst nach drei Jahren hat er sie bestanden.

Alle Menschen sind gleich in Finnland

Durch den Universalismus des finnischen Wohlfahrtsstaat wird versucht soviel wie möglich Gleichheit zu schaffen. Universalismus bedeutet, dass jede (finanzielle) Leistung vom Staat jeder bekommt, unabhängig von seiner Bedürftigkeit. Wie ist es bei uns in Deutschland? Der deutsche Wohlfahrtstaat legt viel mehr Wert auf einkommensabhängige Leistungen. Das heißt, es bekommt nur der Bafög, dessen Eltern auch am wenigsten verdienen. Der Beitragssatz für die Krankenkassen in Deutschland richtet sich nach dem Größe deines Bankkontos. Je mehr du verdienst, um so mehr musst du einzahlen. Das Ziel der deutschen Sozialpolitik somit die relative Gleichheit.

In Finnland dagegen ist die absolute Gleichheit das oberste Gebot. Jede StudentIn kriegt 500 € jeden Monat zum studieren. Es gibt kein ewige Bürokratie, oder überlastete Ämter, die monatelang das Einkommen deiner Eltern prüfen. Ich habe mein Auslandsbafög im Mai beantragt und jetzt erst, im November, bekommen. Kurz bevor ich mein Erasmus beende!  Auch kann es in Deutschland  trotz Bedürftigkeitsprüfung  passieren, dass Bedürftige durch das Raster fallen: z.B. Studierende, dessen Eltern Schulden abbezahlen müssen und ihren Töchtern kein Unterhalt zahlen können. Aber in den Bafögunterlagen zählt nur das absolute Einkommen der Eltern, nicht die Schulden. Oder Menschen die keine Kraft haben zum Sozialamt zu gehen, nicht wissen wie sie Anträge ausfüllen, nicht wissen welche sozialen Rechte sie im Sozialstaat Deutschland haben. Der deutsche Staat muss dann wiederum Sozialarbeiter (wie meine Mutter) bezahlen, die solchen Menschen helfen die Anträge überhaupt auszufüllen. In Finnland kriegt jeder dasselbe ohne Antrag. Es ist das Prinzip des Universalismus. Es gibt auch kein Ehegattensplitting, jeder wird gleich individuell besteuert. Es gibt hier keine Politik die traditionelle Ehen fördert, wohl aber eine die die gleiche Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt wie Männer fördert. Jeder Frau und jedem Mann muss es erlaubt sein zu arbeiten und sein Kind versorgen zu lassen.


Dieses Prinzip ist allen skandinavischen Staaten gemein. Es kommt von einer strikten sozialdemokratische Politik. Die skandinavischen Regierungen werden seit Jahrzehnten von linken Parteien dominiert.  Woher kommt diese Linkstendenz? Es liegt an der schwedischen Monarchie, die Jahrhunderte ganz Skandinavien dominierte, dessen Strukturen aber nie in absolut luxuriöses Sonnenkönigtum mit abgehobenen Adel ausartete. Die Bauern und die gesamte landwirtschaftliche Klasse war an der Politikführung zu einem gewissen Teil beteiligt. Die landwirtschaftliche Partei ist bist heute eine der stärksten in Finnland (Center Agrarian Party). Sie verhinderte, dass das Wohlfahrtssystem nur der industriellen Arbeiterklasse zu Gute kam. Die ersten Krankenversicherungen im 19.  und 20. Jahrhundert galten auch den Selbstständigen, den Bauern. In Kontinentaleuropa gab es hingegen die französische Revolution, in denen sich Bauern gegen das ausbeuterische Regime auflehnen mussten. In Deutschland führte Bismarck die ersten Krankenversicherungen ein, aber nur für die Industriearbeiter. Damit wurde der Klassenkonflikt weiter angeschürt. Es ist die Elite die der arbeitenden Bevölkerung entgegensteht. In Finnland dagegen wurde die Arbeiterklasse UND Bauernklasse immer in politische Entscheidungen miteinbezogen, und hörte so auf, eine Klasse zu sein. Gleichheit und Konsensfindung prägen die finnische Politik.

In meiner Küche: Marie und meine Mitbewohnerin Aurélie

Meine Freundin Marie seufzt, als sie bei mir in der Küche sitzt. "Ich vermisse das demonstrieren", sagt sie. "Es war so einfach in Frankreich, du konntest auf die Straße gehen und klar und einfach sagen was falsch ist an der Regierung." Sie beißt in mein selbstgebackenes Pizzabrot mit Oliven und Auberginen. "Hier in Finnland, gibt es das nicht. Keine Klassen, kein Protest, - ich habe Sehnsucht nach klaren Verhältnissen."

Mein selbstgebackenes Pizzabrot

Sonntag, 27. Oktober 2013

Tiger im Debattieren

Ich hole tief Luft. " Syrian Rebellian have proven to be as violent as Assad. Rebel groups are too fragmented, to form after the civil war a decent democracy. Assad needs to be the leader, because the international community needs one general person to start peace talks. For all this reasons, I think Syria would be better off if Assad won the civil war."
Klatschen. Ich raffe meine Unterlagen zusammen und gehe auf meinen Platz. Zu meiner Rechten sitzt Tapio, mein Partner im Debattierturnier. Zusammen sind wir das Debattierteam "The Tigers". 
Zwei Tage lang haben wir unsere intellektuellen Klauen geschärft, haben gegen andere Teams, die rund vom Globus kamen, unsere rhetorischen Messer gewetzt. Nachdem ich fünf Reden gehalten habe, bin ich erschöpft, wir haben es noch nichtmal in das Semi-Finale geschafft. Aber was für ein Spaß das Ganze! Ich habe das Gefühl mir sind Millionen neuer Gehirnzellen in diesen zwei Tagen gewachsen, meine Denkprozesse laufen schneller als normal ab. Meine Arguementationsfähigkeit sind nun in meinem Gehirn im Fremdsprachenzentrum angesiedelt. Das heißt ich kann nur momentan nur noch auf Englisch politisch argumentieren, ansonsten fehlen mir deutsche Worte.
Das Prinzip ist simpel: es gibt pro Runde acht Reden, vier für das vorgegebene Debattierthema, vier dagegen. Seine Position kann man sich nicht aussuchen. Also halte ich ein leidenschaftliches Plädoyer, für den Sieg Assads in Syrien, und dass Kinder von Roma-Eltern, die sich nicht integrieren wollen, der Familie entzogen werden. Ich bin dagegen, dass man Arbeitslosenhilfe nur im Gegenzug durch gemeinnütziger Arbeit erhält und dass parlamentarische Wahlen durch ein Lotteriesystem ersetzt werden.

Was gibt es noch Neues in meinem Alltag in Finnland? Das Uni-Leben hat sich intensiviert, aber ansonsten hat sich mein Alltag hier in Turku wie in Passau eingespielt. Ich belege soziologische Seminare wie "Transnationalism and Diaspora", beschäftige mich mit den skandinavischen Sozialstaaten in der Vorlesung "Nordic Welfare States" und habe ein Referat über die Freiheit von dem James Mill in "Political Philosophy" gehalten. Ich bin immer noch begeistert von dem kollegialen und freundlichen Dozierweise, in der Veranstaltungen abgehalten werden. An deutschen Universitäten habe ich jedesmal das Gefühl das es ein große Hierarchie zwischen Professoren und StudentInnen gibt. In Turku gibt dir kein/e DozentIn das Gefühl, dass du eine kleine Studentin bist und er/sie der allwissende Greis. Im universitären Bereich in Finnland wird viel mehr Wert auf das Miteinander lernen gelegt. Ich werde nicht als Lernende mit auffüllbaren Gehirn betrachtet, das man einfach aufklappen und Wissen reinstopft. Sondern ich werde als Individuum wahrgenommen, dass intrinsisch motiviert ist zu lernen, und gerne über das Wissen diskutiert, was reingestopft wurde. Das gefällt mir. Nicht umsonst wurde Finnland neben Japan im Ranking von vor zwei Wochen als das Land mit dem besten Bildungssystem ausgezeichnet.