Samstag, 31. August 2013

Alkohol


"Was ist der Unterschied zwischen einer finnischen Hochzeit und einer finnischen Beerdigung? Auf der Beerdigung ist wenigstens eine Person nicht betrunken." erzählt der Professor einem andächtig lauschenden Hörsaal voller Erasmusstudenten. Es ist meiner zweiter Tag des "Erasmus-Orientierungs-Kurs". Zusammengestopft mit StudentInnen aus über hundert Ländern, mache ich in diesen Tagen die ersten Bekanntschaften mit meinen KommilitonInnen. Jede/r ist bestrebt in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Leute kennenzulernen, man ist schließlich ganz allein nach Finnland gekommen. Ich merke dass mein Hüftschwung interkulturell sehr gut ankommt. Egal welche Sprache, egal welches Land, jedeR fängt an zu lachen an, wenn ich anfange zu tanzen. Viele haben auf mein Yip-Yip-Abschiedsplakat geschrieben, dass sie hoffen, ich höre nicht in Finnland auf zu tanzen, und ich kann nun stolz berichten, dass ich das hier eher intensiviere!

Am Donnerstag findet die Tauffeier für die Erstsemester der Faculty of Social Sciences statt. Wir binden uns an eine Schnur aneinander, und ziehen zu verschiedensten Plätzen auf dem Campus wo Trinkspiele stattfinden. Zuhause in Deutschland, gibt es nichts mehr was ich verachte als sinnlose Saufspiele. Aber ich habe die Moral an der Flugzeugtür abgegeben. Unter Jubelschreiben meiner KommilitonInnen setze ich den finnischen Wodka an meine Lippen. "Thanks good, for having that german chick!" wird mir bescheinigt, nachdem wir es geschafft haben die Likörflasche im Kreis unter 40 Sekunden zu leeren.
Ich rede mir ein, dass ich die finnische Kultur kennen lernen muss. Man warnte uns, dass die Finnen sehr gerne trinken, besonders in den langen Wintermonaten. Dabei ist Alkohol unglaublich teuer, das heißt wenn man schon abhängig ist, verschuldet man sich auch meistens. Es gibt eine hohe Alkhoholsteuer die jedoch bei weitem nicht das deckt, was das staatliche Gesundheitssystem für den Entzug - und Rehabilitationsmaßnahmen für Alkoholabhänge ausgibt, erklärt der Professor.

Am meisten freut mich, dass ich schon mit sehr vielen Finnen geredet habe. Finnische Studenten sind nett, offen, sprechen perfektes Englisch und haben alle blonde Haare. Zusammen fahren wir nach den Trinkspielen auf die Schären. Die Sonne versinkt im Meer, die Eichhörnchen klackern auf den Bäumen, das Lagerfeuer brennt, und 90 Finnen hüpfen in die Sauna und ins Meer, und wir, eine kleine Gruppe von AustauschstudentInnen, sind mit dabei, verwirrt und glücklich.




Mittwoch, 28. August 2013

Orientierung

Was ist das Gute an der NSA-Affäre? Mein Computer denkt. Er denkt wegen dem finnischen W-Lan ich sei eine Finnin. Damit ist alle Werbung auf Webseiten die ich besuche, in finnisch. Somit bin ich von einem Teil des Kapitalismus befreit.

Niemand ist hier um Finnisch zu lernen. Alle Erasmusstudenten die ich an meinem ersten Orientierungstag treffe, sagen, dass sie hier sind um ihr Englisch zu verbessern. Sogar meine Tutorin, Heli, rät mir davon ab ihre Sprache zu lernen. An dieser Universität gibt es für jeden einzelneN AustauschstudentIn eine finnische Ansprechperson, eine Tutorin, die dir dabei hilft, dein Leben hier auf die Reihe zu kriegen. Heli ist heute sogar mit mir und ihren finnischen Freunden auf die Erasmus-Karaoke-Party gegangen. Gemeinsam haben wir "juuuhuuu, aaahhaaa" von dem Lied Clocks von Coldplay in das Mikrofon gejodelt. Music makes the world go round!

Jeden Morgen radele ich also jetzt zur Universität, 6 Kilometer meine Fahrradstrecke. Mein rostiges Fahrrad klappert, meine Haare fliegen, ich summe finnischen Gothic-Pop vor mich hin und strampele zum Zentrum. Es geht mir wunderbar gut dabei. Diese paar Minuten radeln bringen meinen ganzen geplagten Kreislauf in Schwung. So sehr tanzen meine Blutmoleküle herum, dass ich heute erst um 2 Uhr morgens nach Hause kam. Durch die stille, finnische Nacht fahrend. Auf der Straße Hämankatu kommen mir vier finnische Männer entgegen. Alle vier sind nackt. Das überrascht mich so, dass ich mit dem Fahrrad einige veritable Schlangenlinien fahre. Ich habe noch nie nackte Männer auf einer Straße in der Großstadt getroffen. Später wird mir erzählt, dass diese Merkwürdigkeiten nur in der ersten Woche vor Universitätsbeginn stattfinden. Hoffen

Es gibt über 2000 AustauschstudentInnen hier, und  18 000 finnische StudentInnen. Die Menge der AustauschstudentInnen entspricht der Menge an Deutschen, die man hier trifft. Überall höre ich deutsche Wortfetzen, man hat sich schon gefunden, man klüngelt in kleinen Deutschgrüppchen. Wie den Kugeln in einem Computerspiel ausweichend, entferne ich mich von jedem Punkt, an dem ich Deutsch höre. Sie sind so langweilig! Wenn sie mich fragen, sage ich ihnen, dass ich Österreicherin bin.

Dienstag, 27. August 2013

Drei Stereotype

Drei Stereotype über das Aussehen von Finnen möchte ich teilen.
Meine Beobachtung von Gleichaltrigen führt mich dazu, sie in drei Kategorien einzustufen:

Es gibt hier zwei Arten von jungen Männern. Erstens, die weizenblonden Männer. Sie haben kurze Haare und sehen aus wie Wikinger. Sie haben sehr viele Muskeln. Jurastudenten tragen sie an beiden Seiten rasiert, ihre blonde Tolle in der Mitte lang.

Die zweite Art hat braune Haare hat, trägt sie meist zum Pferdeschwanz gebunden. Dieser Mann kleidet sich ein Gothic Rock/Metal-T-Shirt, und sieht blass aus.

Und die Frauen. ALLE haben sie langes blondes Haar, dass sie gekonnt nach hinten werfen.

So, damit hätten wir alle Finnen adäquat charakterisiert! Jetzt muss ich sie nur noch kennen lernen...

Mein Viertel Varissuo

Letztlich hatten Erik und Ich eine lange Diskussion darüber, ob Menschen aus der "bildungsfernen" Schicht, so glücklich sind, wie Menschen aus dem Bildungsbürgertum. Sind Menschen auch glücklich, wenn sie viel fernsehen und sich wenig bewegen? Für mich persönlich ist die volle Entfaltung aller gedanklichen Kräfte, über den Horizont springen, eine stetige Glücksquelle. Aber gilt das für alle Menschen? Sind Menschen, die einer monotonen Tätigkeit nachgehen, Schichtarbeit, für die man keine Qualifikation braucht, unglücklich? Wenn sie aber glücklich sind, dann brauchen wir keine Förderung von Chancengleichheit. Denn Kinder, die in bildungsfernen Familien aufwachsen, können genauso glücklich werden, wie Kinder, deren Eltern ihren Kindern nur Computerspiele mit pädagogischen Hintergrund erlauben. Wir setzen jetzt voraus, dass das höchste Ziel eines Staates ist, die Glückseligkeit seiner Staatsbürger zu sichern und zu fördern.

Das Buch auf meinem elektronischen Lesegerät von Josh Medina, Brain Rules, hat mich drauf aufmerksam gemacht, dass Kinder, die nur zweimal in der Woche Sport treiben, signifikant bessere Leistungen in der Schule erbringen, als solche, die sich nicht bewegen. Sie sind kognitiv stärker und belastbarer.Darüber denke ich nach, wenn ich aus der Haustür trete. Das erste Mal in meinem Leben wohne ich in einem Viertel, Varissuo, dass nur aus Sozialwohnungen für bedürftige Menschen besteht. StudentInnen und Immigrantinnen zum Beispie. Hier laufen viele übergewichtige Kinder herum, die Mehrzahl der Menschen kleidet sich in Jogginganzügen und alte Männer lungern vor dem Supermarkt herum, als Accessoire eine Bierdose. Wenn wir reale Chancengleichheit wollen, müssten wir die Kinder den Eltern wegnehmen, weil sie ihre Leistungen und damit ihre Karriere beeinflussen. Dann kommen wir zum Philosophenstaat in dem nur die Weisen regieren (Platon, Aristoteles) oder das was als kommunistische Denker als Einheitsstaat definierten. Beides ist natürlich inakzeptabel.

Für Medina ist es in der Evolution angelegt, dass der Mensch intensiv nachdenkt. Zum Überleben braucht der Mensch zwei Dinge: einen Wissensspeicher und die Fähigkeit zur Improvisation, aus Fehlern zu lernen. Wir nehmen jetzt an, dass eine vollständig ausgebildete evolutionäre Tätigkeit unseres Gehirns zu Glück führt. Wir führen dass aus, was die Evolution von uns wollte: lernen. Folgen wir der evolutionsbiologischen Argumentation, müssten wir sagen, die Kinder in den Sozialwohnungen sind verkümmert. Sie bewegen sich nicht - das steigert die Fähigkeit zum Denken - und ihre Kreativität, die Fähigkeit zur Improvisation wird eher nicht gefördert (z.B. wenn es Fernsehen das einzige Spielgerät ist).

Erziehung ist aber immer dualistisch geprägt, Kinder werden von staatlicher Seite und von familiärer Seite erzogen. Damit ist Chancengleichheit eine Illusion. Wir können alles tun um Kindern dieselbe schulische Ausbildung zu geben, z.B. durch Ganztagsschulen, aber wir wir können ihnen nicht ihr Elternhaus wegnehmen, durch das sie geprägt werden. Wenn wir annehmen, dass sie Kinder durch bildungsferne Prägung trotzdem glücklich sind, ist dies kein Problem

Was machen wir aber, wenn Kinder, bzw. Menschen, durch Nicht-Förderung ihres Gehirns unglücklich sind?

Kommentare unter diesem Blogeintrag sind erbeten.

Mein Wohnhaus in Varissou. Unser Balkon ist ganz oben links, weißen Haus.


Blick vom Balkon


Sonntag, 25. August 2013

Südkorea

Der erste Kulturschock. Das was mich in meinen Grundfesten erschüttert, ist nicht meine finnische Umgebung, oder die finnische Sprache.Es ist meine Mitbewohnerin, Yen Hee. Sie kommt aus Südkorea. Sie kann nur sehr wenig Englisch, möchte aber alles tun um in den Augen ihrer Wohnungsgenossin als freundlich zu gelten. Nach unserem anfänglichen Schock, dass wir uns nicht gegenseitig verstehen, sind wir zwei Tage lang umeinander herum geschlichen. Dann hat sie sich ein Herz genommen und mich zum Dinner eingeladen. Nach der zweiten kulturellen Hürde (ich esse kein Hühnchen aus Massentierhaltung!) haben wir gemeinsam gekocht.
Was nicht alles möglich ist mit den neuen Medien! Ich hatte einfach meinen Laptop auf dem Essenstisch und immer, wenn sie ein Wort nicht wusste, wurde es eingetippt und plopp! erschien es auf Englisch.
Dafür hat sie mir ein paar südkoreanische Wörter beigebracht und dank meiner interkulturellen Kompetenz - vor dem Essen schnell ein paar Wikipedia-Artikel zu Südkorea gelesen! - weiß ich jetzt auch, dass dort die Tochter des ehemaligen Diktators regiert, die interessanterweise in der Gegenwart durch demokratische Wahlen legitimiert ist.
Und nachdem ich ihr den Gangnamstyle in unserer Küche vorgetanzt habe, war auch das letzte Eis gebrochen.

Groß und weit und leer ist das Land...

Samstag, 24. August 2013

Erste Tage



Finnland besteht nur aus Himmel und Erde. Es gibt nur einige Menschen, die unter den weißen Wolkenfetzen des endlos blauen Himmels und der grünen Bäumen und Wiesen herumwandern. Auf einer größeren Fläche als Deutschland, gibt es ungefähr so viele Einwohner Finnlands wie in Berlin. 
 Die Sonne scheint. Es gibt einen See. Es gibt meine Wohnung. Ein Apartment im höchsten Stock eines studentischen Sozialwohnungsbaus. Aus dem Fenster sieht man die Wipfel der grünen Tannen… und Himmel.

Auf einer Erkundungstour entdecke ich einen Antiquitätenladen. Schrott? Schrott gibt es nicht. Schrott, das sind tolle Sachen, aus denen kann man was Neues machen! Ich erstehe ein verrostetes Herrenrad und radele mit ihm flugs um den See namens Littoistenjärvi.

Nette Finnen. Alle ein bisschen schüchtern und wortkarg. Moi moi! Versuchen so gut wie es geht mit der extrovertierten Dame aus dem Süden Europas zu kommunizieren.
Dein ist mein Herz, Europa. 



Littoistenjärvi



Antiquitätenladen
Ein Troll

Mein Nachbarviertel


Mein Zimmer

Littoistenjärvi